Flüchtlingkrise - war es das?

Es ist sicher noch allen im Bewusstsein, die Flüchtlingskrise 2015, als fast eine Million Menschen Schutz suchend nach Deutschland kamen, Tausende auch nach Stormarn.

Die Politik - von der EU bis zu den Kommunen - war von dieser heftigen Dimension völlig überrascht und mit den damit verbundenen Herausforderungen stark gefordert. Es ging um Hilfe für Menschen, die Schutz suchten (Genfer Flüchtlingsabkommen), nichts hatten (Hunger und Armut) und nicht aus unserem Kulturkreis (Sprache, Verhalten) kamen. Ohne die viele ehrenamtlich tätigen Bürger, die weltweit den Begriff "Willkommenskultur" geprägt haben, wäre diese Herausforderung nicht geschafft worden. Sie hat uns Deutsche weltweit viel Wertschätzung, sicher aber auch Spott eingebracht.

Die Flüchtlingskrise von 2015 hat ihre Wirkung bis heute: weitere Flüchtlingsströme sind gefolgt, Angst vor Überfremdung und Überforderung haben den Rechts-Populismus gestärkt und die Integration Hunderttausender ist gerade erst angefangen.

Im Höhepunkt der Flüchtlingskrise 2015 habe ich meinen Beruf in Trenthorst für einige Jahre an den Nagel gehängt, um im Rahmen der deutschen Sonderinitiative "Eine Welt ohne Hunger" des Deutschen Ministeriums für Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) dort hinzugehen wo die Flüchtlingskrise einen ihrer Ursprünge hat: nach Äthiopien in Afrika, eines der ärmsten Länder der Welt, wo Hunger und Armut noch vielfach verbreitet sind und Europa (vor allem Deutschland) die große Zukunftshoffnung vor allem der jungen Menschen ist. Menschen aus den Nachbarländern Somalia, Eritrea, Süd-Sudan und Yemen haben sich bereits auf den Weg gemacht, das Elend dort wurde für viele zu groß zum Bleiben.

Was habe ich erfahren und was bringe ich nach Stormarn mit zurück? Zunächst eines: es  gibt in Äthiopien und den angrenzenden Ländern so viele freundliche, fähige und hilfsbereite Menschen mit einer tiefen Kultur und Lebensfreude. Sie würden nichts lieber machen, als in ihren Ländern zu bleiben, wenn sie eine Zukunftsperspektive haben. Dabei erwarten sie gar nicht viel: genug zu Essen, eine gesundes und sicheres Leben ohne Angst und eine gute Perspektive für die Kinder.

Des Weiteren konnte ich feststellen, dass in Äthiopien und den anderen armen Ländern alles dafür da ist, um diese Hoffnungen möglich zu machen. Es gibt eigentlich genügend Wasser, genügend Land, fruchtbare Böden, (noch) nicht zu viele Menschen und (noch) intakte Kulturen, die auch zukünftig ein friedliches und leistungsfähiges Miteinander möglich erscheinen lassen. Leider werden die Länder so schlecht geführt, dass diese guten Bedingungen nicht genutzt werden (können). Ich würde es Missmanagement nennen.

Erkennbar war für mich, dass es nicht nur Verlierer sondern auch Gewinner der Verhältnisse gibt. Einige wenige verdienen viel Geld oder Macht mit dem Elend vieler anderer. Jede Verbesserung der "Zukunftsperspektiven für alle" ist für die Profiteure der Systeme eine Gefahr. Zu den Profiteuren zählen nicht nur die Einheimischen, sondern auch die internationale Gemeinschaft, die globale Wirtschaft und nicht letztendlich sogar die Entwicklungshilfe, die die Hilfsgelder verwaltet und verwendet.

Unser deutscher Beitrag zur nachhaltigen Lösung der Fluchtgründe müssen stabile, leistungsfähige und für alle Menschen überzeugende und zukunftsfähige Systeme vor Ort sein.  Weniger politische und wirtschaftliche Korruption sind dabei eines der größten Herausforderungen. Die Entwicklungshilfe hat hier eine Rolle, auch zum Negativen. Die doch erheblichen deutschen und internationalen Gelder (mehr "Geld" wird kurzfristig nicht unbedingt mehr "Lösung" produzieren, wie es einige "Träumer" vorschlagen) führen zu finanziellen und beruflichen Abhängigkeiten vor Ort, die an "Drogensucht" erinnern. Es gibt große Wirtschaftssektoren, auch im Rahmen der regierungs- und zivilgesellschaftlichen Hilfe, die von Hilfsgeldern leben - und das nicht schlecht.

Das und vieles mehr habe ich gelernt, aber was heißt das nun? Es ist bekannt, das eine eigenständige und eigenverantwortliche Lösung von "Süchtigen" nicht gesucht wird, so lange es die "Droge Entwicklungshilfe" weiterhin bedingungslos gibt. Fördern und Fordern ist aber die einzig richtige Strategie, die langfristig aus der Abhängigkeit und zur Zukunftsfähigkeit verhilft. Dazu gehören vor allem Rechtsstaatlichkeit, ausgewogene Wirtschaftssysteme, die jedem eine Lebensbasis geben, faire Globalisierungsstrukturen, Regierungen und Politiker, die ihre Aufgaben im Dienst am Volk verstehen, und letztendlich mehr Wissen, Können und Motivation für alle, die am Prozess für eine zielkonforme Umsetzung von gemeinschaftlich vereinbarten Entwicklungsprogrammen beteiligt sind.

Hilfe zur Selbsthilfe muss das Ziel sein, für die Entwicklungshilfe und auch für die Verantwortlichen vor Ort. Hiervon sind wir aber weit entfernt. Eigentlich gibt es dafür genügend gute Verbesserungsansätze, aber die sind eben nicht bequem, vor allem nicht für die Profiteure im System.

Leider rennt uns aber die Zeit davon, noch lange zu probieren. Wenn wir nicht "die Hilfe zur Selbsthilfe vor Ort" schnell, konsequent und nachhaltig angehen, dann stehen und nicht eine Million Flüchtlinge wie 2015, oder 100 Millionen wie BMZ-Minister Müller dieses Jahr prognostiziert hat, sondern mittelfristig mehr als eine Milliarde Flüchtlinge aus Afrika und Asien vor der Tür. Stormarn kann sich da auf einiges einstellen, wenn wir es nicht schaffen, eine lebenswerte Zukunft in Afrika zu schaffen. Das möchte ich den Menschen in Afrika und Asien, aber auch Stormarn ersparen.

Es war eine lehrreiche Zeit in Afrika, mit einer spannenden, erfüllenden und hoffentlich auch erfolgreichen Aufgabe, die nun zu Ende geht. Nach über zwei Jahren freue ich mich darauf, wieder nach Stormarn zu kommen, mich einzumischen für eine gute Zukunft. Ich habe die Lebensqualität, die mir hier geboten wird, die wir zusammen erschaffen haben und erhalten, noch mehr schätzen gelernt.

Eine Sorge habe ich jedoch: hoffentlich werde ich nicht als "Flüchtling" begrüßt. Die "Willkommenskultur" ist sicher noch existent, wurde aber von der "populistischen rechten Fremdenfeindlichkeit" medial längst überrollt worden, wie ich es aus "Afrikaner" wahrnehme.

Ich werde auf alle Fälle am 24. September wählen gehen, damit die "Hetzer" so wenig Macht wie möglich erhalten.

von Gerold Rahmann
Mitglieder der Fraktion der Grünen im Kreistag Stormarn

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